Zusammengestellt von Bernadette Sattler-Koschar, MSc, Klinische Psychologin und Traumatherapeutin bei der Krebshilfe Steiermark.
Familienalltag im Schatten der Krankheit Krebs
Besonders, wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt, wird der Familienalltag nachhaltig verändert. Der psychische Stress, den eine solche Situation mit sich bringt, betrifft nicht nur die Erkrankte/ den Erkrankten, sondern die gesamte Familie.
Die psychologischen Auswirkungen auf den erkrankten Elternteil
Die Diagnose Krebs löst eine Achterbahnfahrt durch verschiedenste Emotionen aus – von Schock und Angst bis hin zu Trauer und Wut. Besonders zu Beginn der Erkrankung kann der Gedanke an die Ungewissheit über die Zukunft zu einer überwältigenden Belastung führen. Der erkrankte Elternteil muss sich nicht nur mit der physischen Belastung der Krankheit und der Behandlung auseinandersetzen, sondern auch mit psychischen Herausforderungen wie der Angst vor dem Verlust der eigenen Lebensqualität oder gar des Lebens.
Als Elternteil belastet es umso mehr von einer Krebserkrankung betroffen zu sein, zumal hier Ängste und Sorgen um das eigene Kind / die Kinder hinzukommen.
Für viele Elternteile ist die Sorge um das Wohl ihrer Kinder und den Erhalt des Familienlebens von zentraler Bedeutung. Die Erfahrung der eigenen Verwundbarkeit kann das Selbstbild des erkrankten Elternteils verändern. Eltern fühlen sich oft hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, für ihre Kinder stark zu bleiben, und der eigenen körperlichen und emotionalen Erschöpfung. Diese innere Zerrissenheit kann dazu führen, dass die betroffene Person Schwierigkeiten hat, ihre eigenen Bedürfnisse klar zu artikulieren oder anzunehmen. Bedürfnisse nach mehr Ruhe und Freiräume - Unterstützung und Austausch - Verständnis und Zuwendung werden hintenangestellt.
Auswirkungen auf den gesunden Elternteil
Nicht nur der erkrankte Elternteil ist von der Diagnose betroffen, auch der gesunde Elternteil steht vor großen Herausforderungen. Der gesunde Elternteil muss sich mit der Rolle des Pflegers und Unterstützers auseinandersetzen, was oft zu einer erheblichen emotionalen und physischen Belastung führt. Die Verantwortung, den Alltag der Familie weiterhin zu organisieren, während gleichzeitig für den erkrankten Partner gesorgt wird, kann zu einer Erschöpfung führen, die oft als „Caregiver Stress“ bezeichnet wird. Der gesunde Elternteil muss die Rolle des Trösters und Stützens übernehmen, während er selbst mit der Unsicherheit und den eigenen Ängsten kämpft.
Darüber hinaus kann der gesunde Elternteil Schwierigkeiten haben, sich selbst emotional auszudrücken. In vielen Fällen fühlen sich gesunde Elternteile isoliert, weil sie glauben, ihre eigenen Ängste und Sorgen nicht teilen zu können. Es ist häufig der Fall, dass sie ihre eigene Trauer und Hilflosigkeit hinter einer Fassade der Stärke und Normalität verbergen, um ihre Kinder nicht zusätzlich zu belasten.
Psychologische Belastung für die Kinder
Kinder sind besonders sensibel für die Emotionen ihrer Eltern, auch wenn sie nicht immer die genauen Ursachen kennen, bemerken sie die Veränderungen im Verhalten und der Stimmung der Erwachsenen.
Kleine Kinder verstehen zwar noch nicht so ganz, was es mit den Begrifflichkeiten wie „Chemotherapie“, „Bestrahlung“ und „Krebs als Erkrankung“ auf sich hat, dennoch bemerken Kinder Veränderungen im Familienalltag rasch. Jüngere Kinder gehen davon aus, dass krank sein von kurzer Dauer ist. So wie Kinder es von sich auch kennen, krank zu sein und möglicherweise unter Einnahme von Medikamenten baldigst wieder zu genesen, wird dies auch von ihren Eltern erwartet. Doch verschlechtert sich der Allgemeinzustand von Mama oder Papa unter der Therapie dann noch, folgt eventuell Ratlosigkeit und Unverständnis vonseiten des Kindes. So brauchen Kinder viele wiederholende Gespräche, um ein gewisses Maß an Verständnis gegenüber dem erkrankten Elternteil aufzubringen.
Ältere Kinder und Jugendliche begreifen die Tragweite einer ernstzunehmenden Erkrankung zwar, trauen sich vielleicht dennoch nicht, darüber zu sprechen, um niemanden zu belasten oder traurig zu machen. Sie bemerken, wie sich die Erwachsenen verhalten und wie sie miteinander und über die Krankheit sprechen. Daraus und aus der dazugehörigen Mimik und Gestik lesen sie weit mehr ab, als man zu glauben meint.
Eines haben alle Kinder gemeinsam: Sie suchen - wie auch wir Erwachsene - nach Ursachen oder Schuldigen. Hier ist es von besonderer Bedeutung Kindern zu erklären, dass keiner an der Erkrankung Schuld trägt und die Ärzt:innen alles dafür tun, damit Mama oder Papa wieder gesund wird. Auch wenn Kinder dies nicht aktiv von sich aus äußern oder danach fragen, ist es wichtig, ihnen zu sagen, dass sie nicht daran schuld sind, dass Mama oder Papa krank geworden ist.
Für Kinder ist es besonders wichtig, dass sie in dieser schwierigen Zeit emotionale Unterstützung erhalten. Das bedeutet nicht nur, dass ihre eigenen Ängste und Sorgen ernst genommen werden, sondern auch, dass sie die Gelegenheit bekommen, ihre Gefühle auszudrücken und über ihre Ängste zu sprechen. Es ist entscheidend, den Kindern klarzumachen, dass ihre Eltern sie immer noch lieben und sich um sie kümmern, auch wenn sich die Umstände verändern.
Der Umgang mit der Veränderung des Familienalltags
Die Diagnose Krebs bringt tiefgreifende Veränderungen im Familienalltag mit sich. Der Familienalltag geht trotz Krebserkrankung weiter. Der Alltag, der vor der Erkrankung gut organisiert war und vielleicht davor schon oft in Stress und Überlastung geendet hat, wird plötzlich zur absoluten Herausforderung. Der Alltag wird zunehmend von Arztbesuchen, Behandlungen und der Pflege des erkrankten Elternteils bestimmt. Für die Kinder bedeutet dies, dass sie sich häufig an neue Routinen anpassen müssen, etwa wenn der erkrankte Elternteil nicht mehr in der Lage ist, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Auch der gesunde Elternteil kann durch die Verantwortung in seiner Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen, eingeschränkt sein. Dies kann zu Spannungen innerhalb der Familie führen, wenn beispielsweise Erwartungen an die Kinder gestellt werden, die sie normalerweise nicht erfüllen müssen.
Während der Therapie stellt sich zwar ein Therapiealltag ein, dennoch ist es nicht mehr möglich die bisherige Haushaltsaufteilung bzw. Care-Arbeit aufrechtzuerhalten. Es braucht Unterstützung von außen (Großeltern, Tante/Onkel, Freunde/Bekannte, Nachbarn, etc.)
Die Veränderung des Familienalltags betrifft auch die sozialen Aktivitäten der Familie. Freizeitaktivitäten, die früher als selbstverständlich galten, müssen möglicherweise reduziert oder ganz abgesagt werden. Für Kinder brauchen einen geregelten Tagesablauf und müssen wissen, wer wann für sie verantwortlich ist. Kinder brauchen gerade in Krisenzeiten ein verlässliches soziales Netzwerk und die Erlaubnis sich weiterhin mit ihren Freunden zu treffen, ihren Hobbys nachzugehen und Freude in ihrem kindlichen Dasein zu haben.
Um mit diesen Veränderungen umzugehen, ist es wichtig, dass die Familie eine offene Kommunikation pflegt. Ein regelmäßiger Austausch über die eigenen Gefühle, Ängste und Bedürfnisse kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und die psychologische Belastung zu verringern. Der Fokus sollte auf der Anpassung des Familienalltags an die neue Situation liegen, ohne dabei die emotionalen Bedürfnisse jedes Einzelnen aus den Augen zu verlieren.
Psychologische Unterstützung für die Familie
In der schwierigen Zeit der Krebserkrankung eines Elternteils kann es ratsam sein, psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Dies kann in Form von Einzelberatung, Familienterminen oder auch durch die Teilnahme an (Selbsthilfe-) Gruppen geschehen. Der Austausch mit anderen Familien, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann eine wertvolle Quelle der Unterstützung sein.
Quelle: Broeckmann, S. (2018). Plötzlich ist alles ganz anders – wenn Eltern an Krebs erkranken (4. Auflage). Klett-Cotta.
Elterncafé „Krebse fangen“ – Wie die Krankheit unseren Familienalltag prägt
Die Krebshilfe Steiermark bietet für an Krebs erkrankte Elternteile, sowie für weitere Bezugspersonen eines Kindes das Elterncafé „Krebse fangen“ an. Es soll die Möglichkeit für ein Gespräch zwischen Gleichgesinnten geschaffen werden. Ziel ist der Austausch über die Herausforderungen und Erfahrungen im Familienalltag, wenn Mama oder Papa an Krebs erkrankt sind.
Es handelt sich um ein zwangloses Treffen in gemütlicher Atmosphäre. Angeboten wird es einmal im Monat als offene Gruppe mit jederzeitigem Einstieg.
Leitung: Bernadette Sattler-Koschar, MSc & Mag.a Nina Semmernegg
Termine: 11.04., 09.05., 06.06., 03.10., 07.11., 12.12.2025 jeweils von 10 bis 11:30 Uhr
Ort: IntercityHotel Graz, Finkengasse 2, 8020 Graz
Bitte um Anmeldung unter 0316/ 474433-0 oder beratung@krebshilfe.at